Trauer in Zeiten der Corona-Pandemie

Einen geliebten Menschen zu verlieren, ist immer eine Ausnahmesituation. In der Corona-Pandemie trifft uns der Tod umso härter. Das habe ich selbst erlebt. Im letzten Jahr ist der Vater der Patentante meines Sohnes an Corona verstorben. Die Nachricht hat uns wie ein Schlag in den Magen getroffen. Es passierte innerhalb weniger Wochen: Krankenhaus, Beatmung und Tod.


Am schlimmsten war, dass wir nicht Abschied nehmen durften. Niemand konnte in den letzten Stunden bei ihm sein. Der Verstorbene stand mitten im Leben. Er hat auf die Abstands- und Hygieneregeln geachtet. Trotzdem hat ihn das nicht geschützt. Mich hat das tief getroffen. Hinzu kam. Dass mein eigener Vater im selben Alter ist. Diese Erfahrung hat definitiv auch meinen politischen Blick auf die Pandemie geprägt.

Ähnliches haben im letzten Jahr auch tausende andere Familien in Deutschland erlebt. Das kommt mir in der aktuellen Debatte zu kurz. Wir reden so viel über die Einschränkungen und Wege aus dem Lockdown, dass wir darüber vergessen, dass diese Pandemie tausende Menschen das Leben gekostet hat. Die erschütternden Bilder aus dem italienischen Bergamo und anderen Orten scheinen bereits vergessen. Und doch stand hinter jedem dieser Särge in den Militärtransportern ein Menschenleben, eine Familie, ein Freundeskreis.

Ein Teil der Aufarbeitung liegt noch vor uns

Serpil Midyatli mit einer Kerze
„Am schlimmsten war, dass wir nicht Abschied nehmen durften.“

Ich glaube, dass ein Teil der Aufarbeitung noch vor uns liegt. Unsere geliebten Menschen fehlen uns besonders im Kreis von Familien und Freunden. Zum Beispiel an den Feiertagen. Diese Anlässe gab es aber in den letzten Monaten kaum. Wir waren alle so sehr damit beschäftigt, überhaupt unseren Alltag unter diesen schwierigen Bedingungen zu organisieren, dass wir gar nicht zum Erinnern und Gedenken gekommen sind.

Wenn wir Weihnachten, Geburtstage oder Ostern wieder wie gewohnt gestalten können, werden wir den Verlust ein zweites Mal durchleben. Gerade wenn wir zusammenkommen um gemeinsam zu feiern und Spaß zu haben, fehlt der Onkel, die Tante, die Mutter, der Vater oder der verlorene Freund besonders. Vor diesen Momenten in den nächsten Montag habe ich deshalb auch etwas Sorge, obwohl ich mich gleichzeitig darauf freue, wieder mit mehr Menschen zusammen zu sein.

Warum der Gedenktag am 18. April wichtig ist

Die Bewältigung unserer Trauer braucht Raum. Deshalb ist es gut, dass es auf Initiative von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 18. April ein gemeinsames Gedenken stattfindet. Zeit innezuhalten, eine Pause von den täglich neuen Debatten über Öffnungen und Lockdown-Maßnahmen. Zeit innezuhalten, um über das nachzudenken, was wirklich zählt.

Auch wir werden eine Kerze in unser Fenster stellen und an den Vater unserer Patentante denken. Aber auch ohne direkt von einem Verlust betroffen zu sein, kann man sich an diesem Tag bewusstmachen machen, dass hinter den nüchternen Zahlen tausende einzelne Schicksale stehen. Die Verstorbenen uns auch noch, wenn wir in ein paar Monaten alle geimpft sind.

Ein Ort des Gedenkens in Schleswig-Holstein

Neben dem zentralen Gedenken brauchen wir auch Orte, um unserer Trauer Ausdruck zu verleihen. Auf einer Mauer in London gegenüber vom Westminsterpalast erinnern inzwischen 150.000 rote Herzen an die Toten der Pandemie. Einen ähnlichen Ort wünsche ich mir auch in Schleswig-Holstein. Wir brauchen eine öffentliche Anlaufstelle, wo man dem eigenen Schmerz Ausdruck geben kann. Eine solche Gedenkstätte wäre auch Mahnung dafür, dass wir auf die nächste Pandemie besser vorbereitet sein müssen.